Wie abgebrüht sind wir eigentlich schon?
Von Konstantin Wecker | 15.März 2011
immer wieder habe ich versucht etwas zu schreiben in diesen Tagen, immer wieder starrte ich auf das leere Papier, unfähig meine Trauer, meine Wut, meine Zerrissenheit in Worte zu fassen. In solchen Momenten kann ich mich eigentlich nur noch am Klavier ausdrücken. Worte versagen.
Und trotzdem will ich versuchen, euch meine Gedanken und Gefühlsstürme mitzuteilen.
Wie abgebrüht sind wir eigentlich schon – und ich spüre das durchaus an mir selbst -, dass sich manchmal Entsetzen und Sensationslust die Waage halten? Sind wir noch dazu in der Lage, mit den Menschen auf der anderen Seite der Welt aufrichtiges Mitgefühl zu empfinden? Oder ist uns dies bereits abhanden gekommen, verdrängt von Egoismus und Besitzgier, Kaufrausch und Wettbewerb, immer auf der Suche, auch in der schlimmsten Situation noch ein privates Schnäppchen, welcher Art auch immer, zu ergattern?
Können wir angesichts dessen, was sich hier vor unser aller Augen ereignet, überhaupt noch zur privaten Tagesordnung übergehen, gemütlich beim Italiener ein Glas Wein trinken und uns am aufkeimenden Frühling erfreuen? Oder sollten wir genau dies tun angesichts eines Geschehens, das uns deutlicher als je zuvor die Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins vor Augen führt?
Manchmal, wenn es mir gelingt, mich tief in mich zu versenken, dann spüre ich diese Verbundenheit, spüre sie nicht nur in Gedanken, sondern im Herzen, genau da, wo die Empathie mit allem Lebendigen nun mal zu Hause ist. Dann aber frage ich mich wieder, ob das nicht auch nur Gedankenkonstrukte sind, eine Art rationale Verbundenheit mit dem Leid der anderen, ohne wirklich daran beteiligt zu sein. Wir müssen höllisch aufpassen, dass dieses Mitfühlen nicht einfach nur zu einem Lippenbekenntnis wird, wie ich es bei vielen Politikern und Wirtschaftsführern vermute. Vielleicht berührt uns das Leid der anderen nur deshalb, weil es uns selbst Unannehmlichkeiten bereitet: unser Wohlstand scheint gefährdet, wir werden uns einschränken müssen, Pfründe und Wahlen könnten verloren gehen.
Diese Rücksichtslosigkeit, in die uns unser Wirtschaftssystem und unsere kriegerische Gesellschaft getrieben haben, hat uns schon lange durchdrungen. Wenn wir ehrlich sind, spüren wir nun, wie kaltherzig wir selbst bereits geworden sind. Auch wenn wir uns zu den Mitfühlenden, Engagierten und Wachen zählen – die letzten Jahrzehnte der hemmungslosen Egozentrik sind auch an uns nicht spurlos vorübergegangen. Immer wieder habe ich deshalb in meinen Liedern und Texten dazu aufgerufen, dass wir uns nicht nur politisch, sondern tief in uns selbst verändern müssen. Wie viel es in mir selbst noch aufzubrechen und zu verändern gibt, führt mir diese entsetzliche Katastrophe vor Augen.
Diese Katastrophe muss uns wachrütteln. Nicht nur politisch, sondern in unserer ganzen persönlichen Lebensweise. Sie muss uns daran erinnern, dass wir nicht nur wirtschaftlich mit Ländern am anderen Ende der Welt verbunden sind, sondern zugleich mit all den Menschen dort und überall zutiefst verbunden sind. Es gibt kein Leid in dieser Welt, das nicht auch unser Leid wäre, kein Leid, das nicht auch von uns mit verursacht wurde und für das wir nicht verantwortlich wären.
Bertolt Brecht bringt dieses menschliches Dilemma in den Zeilen seines Gedichtes „An die Nachgeborenen“ von 1939 zum Ausdruck:
Man sagt mir: Iss und trink du! Sei froh, dass du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Ich hoffe, die Menschen in unserem Lande sind politisch klug genug, die hektischen Versuche unserer Regierung, das Wahlvolk doch noch für sich zu gewinnen, zu durchschauen. Ich traue keinem mehr, der noch vor einigen Monaten den Atomstrom für sicher verkaufte und sich von der Atomlobby bestechen ließ. Jeder kann und darf sich ändern und klüger werden. Trotzdem muss man diesen Menschen das Mandat erst einmal entziehen, um ihnen die Zeit zu geben, in sich zu gehen, sich zu besinnen und zu bereuen.
Wie wärs mit einem Moratorium – für die ganze Regierung…..
Ich umarme Euch
Euer
Konstantin
Konstantin
P.S:
Das folgende Lied habe ich vor 30 Jahren geschrieben….
Daß dieser Mai nie ende!
Ach Sonne, wärm uns gründlich!
Wir haben kaum noch Zeit,
die Welt verbittert stündlich.
Daß dieser Mai nie ende!
Ach Sonne, wärm uns gründlich!
Wir haben kaum noch Zeit,
die Welt verbittert stündlich.
Daß dieser Mai nie ende
und nie mehr dieses Blühn -
wir sollten uns mal wieder
um uns bemühn.
und nie mehr dieses Blühn -
wir sollten uns mal wieder
um uns bemühn.
Uns hat die liebe Erde
doch so viel mitgegeben.
Daß diese Welt nie ende,
daß diese Welt nie ende
nur dafür laßt uns leben!
doch so viel mitgegeben.
Daß diese Welt nie ende,
daß diese Welt nie ende
nur dafür laßt uns leben!
Noch sind uns Vieh und Wälder
erstaunlich gut gesinnt,
obwohl in unsern Flüssen
schon ihr Verderben rinnt.
erstaunlich gut gesinnt,
obwohl in unsern Flüssen
schon ihr Verderben rinnt.
Auch hört man vor den Toren
die Krieger schrein.
Fällt uns denn außer Töten
schon nichts mehr ein?
die Krieger schrein.
Fällt uns denn außer Töten
schon nichts mehr ein?
Uns hat die liebe Erde
doch so viel mitgegeben.
Daß diese Welt nie ende,
daß diese Welt nie ende -
nur dafür laßt uns leben!
doch so viel mitgegeben.
Daß diese Welt nie ende,
daß diese Welt nie ende -
nur dafür laßt uns leben!
Wie schön, der Lust zu frönen!
Es treibt der Wein.
Der Atem einer Schönen
lullt mich ein.
Es treibt der Wein.
Der Atem einer Schönen
lullt mich ein.
Daß dieser Mai nie ende
und Frau und Mann,
ein jedes, wie es will,
gedeihen kann!
und Frau und Mann,
ein jedes, wie es will,
gedeihen kann!
Uns hat die liebe Erde
doch so viel mitgegeben.
doch so viel mitgegeben.
Daß diese Welt nie ende,
daß diese Welt nie ende -
nur dafür laßt uns leben!
daß diese Welt nie ende -
nur dafür laßt uns leben!
Ja, ich habe mich auch schon häufig darüber gewundert, dass mein Mitgefühl sich so anders anfühlt bei diesen riesigen Katastrophen, als ich dieses sonst spüre, wenn ich ein krankes, hungriges Kind oder ein misshandeltes Tier erlebe. Viele Kriege, Naturkatastrophen etc. sind sehr, sehr weit entfernt. Die Nachrichten fallen ein im FS und werden von dort direkt transportiert auf unsere Teller, das Glas Wein oder den Teller mit Knabberzeugs. Wie soll da echtes Mitgefühl entstehen können? Außerdem sind die Katastrophen so riesig, dass man vor den Bilder sitzt und diese nicht mehr als real aufnehmen kann, sondern diese konsumiert als eine Art von Kinofilm. Man sagt dann: wie furchtbar, obgleich man diese Furcht nicht wirklich spüren kann. Und das hat - auf jeden Fall für mich - nichts mit "abgebrüht" zu tun.
AntwortenLöschenIch denke, ein Mensch ist gefühlsmäßig zu erreichen, wenn er etwas erfassen kann, zu. B. wenn einer kleinen Gruppe entsetzliche Dinge passieren und man die Reaktion auf das Grauen direkt von einem realen Menschen erlebt und transportiert wird. Da kann man sich hineinversetzen und mitfühlen. Sehe ich Massen von Menschen, denen, wie in Japan ein schweres Unglück widerfährt, dann wird es schwierig mit dem Mitgefühl, da es schwer ist, dieses für gesichtslose Massen wirklich zu empfinden.Ich denke, das Gefühl bleibt vor dem Grauen des Ausmaßes dieser Katastrophe eher an der Oberfläche. Bei dieser ständigen Berieselung, die der Mensch am Bildschirm ausgesetzt ist, diese immer gleichen Filme, die 10 mal und mehr am Tag über die Kiste flimmern, da schaltet man automatisch ab. Das Entsetzen ist da, aber die Erde dreht sich weiter und die nächsten Dramen stehen vor der Tür, Birma, Lybien, Syrien etc. Ich meine, wir werden durch die geballte Präsentation dieser Unglücke, Schicksale etc. total überfordert. Manchmal wäre weniger mehr, sodass Menschen sich besinnen könnten auf ihre inneren Gefühle. Aber schau ich mir die Spendenbereitschaft gerade der Deutschen an, dann ich unsere Bürger auf einem guten Weg der Gefühle, sonst würden sie nicht so viel und oft spenden, denn es sind nicht alle Spender Menschen, die im Überfluss leben, die zuviel haben. Und das ist doch versöhnlich.